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Auto des Monats - August 2011
Bentley Experimental Car, 1938,#9-B-V
Sports Saloon von Park Ward

Bei Bentley hießen Prototypen, wie auch bei Rolls-Royce "Experimental
Car". Dieses Exemplar eines Vorserienwagens war bereits weitgehend
seriennah, denn Park Ward setzte die Karosserie auf ein Fahrgestell, das aus
der ersten Serie von 50 im Werk fertiggestellten Fahrgestellen für den
neuen Bentley Mark V stammte. Die Produktion dieses Basis-Bauteils war
ab Juli 1938 angelaufen. Park Wards Kreation zeigte in der Frontansicht
moderne Züge, denn die Seitenlampen waren oben in die Kotflügel
integriert wogegen früher dort separate Aufsatzlampen montiert gewesen
waren. Auch die Lackierung war nach neuestem Stand in attraktivem
Blaumetallic, mithin war dies in Europa eines der ersten Automobile
überhaupt mit "richtigem" Metallic-Lack, denn in der Kunst, den zu
produzieren war erst just zuvor in den USA der Durchbruch gelungen. Nach
einem ersten Prüfabschnitt von 14.000 Meilen wurde über den Winter
1939/40 ein B60-Motor aus der "Rationalised Range" eingebaut
als Ersatz für den ursprünglich verwendeten Mark V-Motor.
Die "Rationalised Range" war eine umfassende neue Strategie, mit der
soviele baugleiche Teile wie nur möglich für
Serien von unterschiedlichen Fahrgestellen zum Einsatz kommen sollten, die entsprechend
Anforderungen diverser Märkte und Modelle ausgelegt sein sollten. Dabei
sollten identische Komponenten verwendet werden, z.B. hinsichtlich
Formteilen, Radaufhängung, Lenkung, Bremsen, Anzeigeinstrumenten – und
Motoren. Was mit dem Projektnamen "B-Range" geführt wurde, war eine
Serie von 4-, 6- und 8-Zylinder Reihenmotoren, gebaut nach dem selben
Grunddesign und mit möglichst vielen baugleichen Teilen, die sogar
zwischen den Motor-Varianten austauschbar sein sollten. So sollten
Ventile, Ventilführungen, Kolben, Zylinderbuchsen, Lager und vieles mehr
mit identischen Abmessungen und Spezifikationen kostengünstig
zu produzieren und ohne teure Lagerhaltung zu bevorraten sein. Mit viel
weiter gestecktem Rahmen zielte das Programm darauf ab, auch bei den
Karosserien zu einer Vereinheitlichung zu finden – aber die ersten
Erfolg versprechenden Schritte erfolgten beim Motorenbau. Es war somit
nur folgerichtig, als gegen Ende 1938 das Stadium für Tests erreicht
war, einen solchen Motor einem Experimental Car zu implantieren.
Mit Kriegsausbruch erfolgte die Einstellung aller Testfahrten, aber
keineswegs erfolgte, die Experimental Cars "einzumotten". Die wurden
vielmehr hochrangigen Mitarbeitern als "Geschäftswagen" ausgeliehen und
Experimental Car #9-B-V genauso wie die anderen Prototypen liefen
"zehntausende von Meilen bei Fahrten, um die Produktion der
kriegswichtigen Industrie zu sichern" (so geschildert von W.A. Robotham
in seinem Buch Silver Ghosts and Silver Dawn; Forty-four years with
Rolls-Royce, Constable, London 1970, Seite 197). Aus der direkten
Erfahrung der leitenden Ingenieure erhielt der Hersteller das Feedback,
um nach Kriegsende neue Automodelle zu bauen, in die immense Erfahrungen
aus "pre-production-tests" einflossen.

Links Rolls-Royce B60 Motor und rechts der Motor aus dem Rolls-Royce Silver
Wraith. In beiden Fällen 6-Zylinder-Reihenmoten mit 4 ¼ Litern Hubraum,
obenliegenden Einlaß- und seitlich im Block stehenden Auslaß-Ventilen.
Tatsächlich handelte es sich beim Motor des Rolls-Royce Silver Wraith um
eine verfeinerte Variante des B60-Motors, zum Beispiel war der
Zylinderkopf aus Aluminium und nicht aus Stahlguß. Rolls-Royce Silver
Wraith, Bentley Mark VI und später Rolls-Royce Silver Dawn waren mit
Motoren nach identischem Design ausgestattet.
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Es ist Tatsache, dass die Nachkriegs-Modelle Rolls-Royce Silver Wraith
und Bentley Mark VI sowie –wenngleich erst später vorgestellt –
Rolls-Royce Silver Dawn und Bentley R die
"unkaputtbare" Qualität ihrer
technischen Komponenten den eingehenden Tests verdankten, die sich mit
Experimental Cars, vor allem mit #9-B-V, über die kurze Zeit vor dem
Krieg und dann über die Jahre des II. Weltkrieges erstreckt hatten. Das
lässt sich an der Auslegung der Vorderrad-Aufhängung, der Motor-Lagerung
und am vereinfachten Brems-Servo nachweisen. Als nur ein Beispiel
Zeichnungen der Vorderrad-Aufhängungen von Vorkriegs- und
Nachkriegs-Modell zum Vergleich.

Links Bentley Mark V Vorderradaufhängung mit gestängegesteuerter
Betätigung der Bremse, deren Hebel so gelager waren, dass die Funktion
weder von Lenkbewegungen noch von Fahrbahnstößen beeinflußt wurde.
Rechts Bentley Mark VI Auslegung der Vorderrad-Aufhänugn mit
hydraulischer Betätigung der Bremse.
Bei diesem Experimental Car wurde von Einzelleitung auf
Doppelrohr-Auspuff umgerüstet – und die Doppelrohr-Ausführung fand sich
später prompt beim rechtsgelenkten Bentley Mark VI
"Big Bore". Es liefen Tests mit Bestückung durch Vergaser
unterschiedlicher Hersteller – später waren beim Rolls-Royce Silver
Wraith und Silver Dawn Vergaser von Stromberg
Standard, hingegen fanden sich beim Bentley Mark VI (später auch beim
R-Type) Vergaser von SU; aber bei linksgelenkten Bentley Mark VI für
Exportzwecke ersetzte man die SU-Vergaser durch einen von Stromberg. Die
Tests hatten die Gewissheit gebracht, dass solche Maßnahmen ohne
Nachteile vorgenommen werden konnten.
Als nach dem Kriegende in 1945 das Testprogramm wieder auf normales
Niveau gesteigert wurde, standen Prüfungen von hydraulisch
betätigten Bremsen und Reifentests für den ‚schnellen’ Bentley Mark VI
ganz oben auf der Liste (tatsächlich waren hydraulisch betätigte
Vorderrad-Bremsen von Anfang an Serien-Standard, als Rolls-Royce Silver
Wraith und Bentley Mark VI am Markt eingeführt wurden).
Im Jahr 1946 wurde das Experimental Car #9-B-V – nach einiger Zeit
nutzloser Aufbewahrung, weil sich alle Anstrengungen auf den
Produktionsstart der Nachkriegsmodelle konzentrierten – der
Fahrbereitschaft der Flugzeugmotoren-Fertigung von Rolls-Royce in Derby
überlassen. Dort blieb es in Betrieb bis zum Februar 1949 und wurde dann
verschrottet. Ein unrühmliches Ende für den Testwagen, der als "Urvater"
für die Automodelle, mit denen das Werk wieder Fuß im Nachkriegsmarkt
fassste gelten könnte. Wenn das nicht gelungen wäre, hätte man womöglich
zugunsten der hochprofitablen Flugmotoren-Fertigung den Automobilbau
ganz eingestellt. Folglich hatte #9-B-V womöglich erheblichen Anteil
daran, dass bis in unsere Zeit Automobile von Rolls-Royce und Bentley
produziert werden?
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